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Mehr als die Bröseln vom Kuchen.
Neue Technologien und innovative Lösungen könnten auch im Süden universellen Zugang zu
Internet-Diensten ermöglichen
Von Robert Poth
Das Internet ist die Goldgrube des kommenden Jahrhunderts - das steht nicht nur für Beratungsfirmen wie das
US-Unternehmen International Data Corporation (IDC) fest. Bereits 2002 sollte der elektronische Geschäftsverkehr
über das Internet einen Umfang von 425 Mrd. US-Dollar erreichen, prophezeite die IDC Anfang September - 13mal
mehr als die 38 Mrd. von 1998 - während sich die Zahl der Internet-Surfer weltweit von 97 Millionen auf 320
Millionen erhöhen würde. Wir betreten wie Kolumbus eine Neue Welt, meint der Chef des Chip-Herstellers
Intel, Andy Grove - und der Vergleich ist durchaus treffend. Denn laut IDC wird die Zahl der Internet-Nutzer gerade
in den ärmeren Ländern besonders rasch zunehmen: In Afrika, Lateinamerika, der Karibik und Ost- und Zentraleuropa
von heute 7,6 Millionen auf 25,6 Millionen im Jahr 2001, in der Asien-Pazifik-Region von 6,5 Millionen auf 29,3
Millionen.
Und das, obwohl ein Großteil der nötigen Infrastruktur in diesen Ländern erst errichtet werden
muß - in erster Linie Telefonnetze und internationale Datenleitungen mit hohen Übertragungskapazitäten.
Aber die Telekommunikationsbranche, ein essentieller Bestandteil der entstehenden Kommunikations- und Informationsindustrie,
ist dabei, beide Lücken zu schließen. Der Grund: Telekommunikationsfirmen der USA, Europas und Japans
orten seit Jahren eine gewaltige ungedeckte Nachfrage im Süden, die sie mit ihrer überlegenen Finanzkraft
und Technologie am liebsten selbst decken würden. Und zukünftige Internet-Chancen spielen dabei ebenso
eine Rolle - denn wer als Telefon- oder Kabelfernsehanbieter bereits auf einem Markt präsent ist, dürfte
für seine Kunden auch die erste Wahl als Internet-Provider sein.
Tatsächlich haben es die Industrieländer geschafft, einen Großteil der Entwicklungsländer
zu einer weitgehenden Liberalisierung und Öffnung ihrer Telekommunikationsmärkte zu bewegen. Im Februar
1997 wurde - im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO - von 69 Ländern ein Abkommen über Fernmeldegrunddienste
unterzeichnet, die rund 94 Prozent des weltweiten Markts repräsentieren. Kurz danach trat ein zwei Monate
zuvor (ebenfalls im WTO-Rahmen) erzieltes Abkommen zum Abbau der Zölle für informationstechnische Produkte
bis zum Jahr 2000 in Kraft. Die 43 beteiligten Länder stellen 93 Prozent des Welthandels mit IT-Produkten.
Privatisierung von Netzbetreibern und Marktöffnung ist außerdem bereits seit längerem angesagt.
Laut Angaben der Internationalen Fernmeldeunion ITU wurden von 1984 - 1996 bei Telekom-Privatisierungen 158,5 Mrd.
US-Dollar investiert, 54,3% davon im Asien-Pazifik-Raum und 11,5% in Lateinamerika. Neben Privatisierungen und
Neugründungen haben sich auch Formen öffentlich-privater Partnerschaften wie etwa BOT (Build, operate,
transfer) oder BT (build and transfer) entwickelt. Dabei errichten ausländische Unternehmen ein Netz, transferieren
es an die Regierung oder betreiben es zuvor selbst, während die Regierung am Gewinn beteiligt wird.
Was bringt das? Laut ITU im allgemeinen durchaus Vorteile für die Konsumenten. In Argentinien, Mexiko und
Chile verringerte sich die Zahl der Kunden, die auf einen Telefonanschluß warten, von 1990 bis 1995 von über
2 Millionen auf nicht einmal mehr 300.000; die Wartezeit sank gleichzeitig von zwei bis sechs Jahren auf nur mehr
zwei bis fünf Monate. Die Telefondichte stieg nach der Privatisierung in Argentinien von 10 auf fast 18, in
Thailand (durch BOT-Abkommen) seit 1992 bis 1996 von 2 auf mehr als 5. Erst im vergangenen Juli ließen Investoren
insgesamt 19 Mrd. US-Dollar springen, um sich Teile des staatlichen brasilianischen Telekom-Riesen Telebras zu
sichern. Mit dabei sind die in Südamerika stark engagierte spanische Telefonica, Telecom Italia oder der US-Ferngesprächsanbieter
MCI. Analysten rechnen mit einer Verdoppelung der bestehenden 17 Millionen Anschlüsse bis 2001, die Zahl der
Mobiltelefone sollte sich gleichzeitig auf 13,5 Millionen verdreifachen.
Sogar eigentlich "unrentable" Gebiete können durch Partnerschaften zwischen Privatsektor und öffentlicher
Hand versorgt werden. Etwa durch die Versteigerung gemeinsamer Konzessionen für nachfragestarke und nachfrageschwache
Gebiete und verschieden hohe Subventionen, was 1994 in Chile versucht wurde, um ca. 1300 unversorgte Ortschaften
ans Telefonnetz zu bringen. Das Ergebnis: 51% der Ortschaften konnten ohne Subventionen, 32% mit maximaler und
3% mit geringerer Subvention angeschlossen werden. Nur für 14% fand sich kein interessierter privater Anbieter.
Die Anbindung an ein lokales öffentliches Netz ist jedoch nur eine Voraussetzung für einen Internet-Zugang.
Eine weitere ist der Anschluß an das internationale Datennetz über leistungsfähige "Datenschaufeln"
- in erster Linie moderne Glasfaserkabel. Aber auch hier scheint Optimismus angebracht - diese Kabel werden mit
atemberaubender Geschwindigkeit billiger und leistungsfähiger. Ihre Kosten haben sich in den letzten 25 Jahren
zumindest um einen Faktor 50 (!) verringert. Ab September 1999 soll etwa ein neues Unterseekabel mit 40 Gigabit/Sekunde
(= simultane Übertragung von 2,4 Millionen Gesprächen) die Karibik und Lateinamerika mit den USA verbinden
- für 375 Millionen US-Dollar. Chile hatte noch 1997 lediglich internationale Kapazitäten von 9 Megabit/Sekunde,
was in etwa der Potenz eines kleinen Internet-Providers in den USA entspricht; neue Glasfaserkabel sollten diese
Kapazitäten noch 1998 verzweihundertfachen. Jeweils 80 Megabit/Sekunde Kapazität haben projektierte Kabelverbindungen
zwischen China und den USA bzw. den USA und Brasilien. Und neue Technologien wie WDM (Wave Division Multiplexing)
ermöglichen bereits Übertragungsgeschwindigkeiten bis zu 400 Gigabit/Sekunde - das entspricht dem gesamten
aktuellen Internet-Verkehr - über einen einzigen Kabelstrang.
Aber was bringt das alles für die ärmeren Bevölkerungsschichten in der sogenannten "Dritten
Welt", die einfach nicht über die nötige Kaufkraft verfügen? Laut Angaben der ITU in ihrem
letzten "World Telecommunication Development Report" hatten 1996 von weltweit etwa 1,5 Mrd. Haushalten
rund 500 Millionen einen Telefonanschluß, 42 Millionen befanden sich auf Wartelisten. Weitere ca. 230 Millionen
Haushalte bemühen sich zwar nicht um einen Anschluß, würden ihn sich jedoch leisten, falls ein
entsprechendes Angebot vorhanden wäre. Mit Glück und entsprechender staatlicher Regulierung könnte
der jetzige Boom also 55 Prozent der Haushalte versorgen. Für die verbleibenden ca. 675 Millionen Haushalte
(45%) ist ein eigener Telefonanschluß jedoch derzeit unerschwinglich. Außerdem leben diese Menschen
meist in schwer versorgbaren ländlichen Gebieten.
Hier braucht es wohl andere, innovative Lösungen - und realistische, kurz- bis mittelfristig erreichbare Ziele.
Diese sind auf internationaler Ebene, etwa im Rahmen der ITU, bereits formuliert - "Universal Access"
oder allgemeiner Zugang. Die Definitionen sind unterschiedlich: In Brasilien heißt das ein Telefon innerhalb
von weniger als 5 Kilometern, in Südafrika innerhalb einer in 30 Minuten überwindbaren Distanz, in China
Telefondienste in jeder Verwaltungseinheit in ländlichen Gebieten. Es geht nicht um individuelle Versorgung,
sondern um Bereitstellung von Kommunikationsdiensten auf Basis gemeinschaftlicher Nutzung. Die Idee beinhaltet
die Nutzung von Telekommunikation als Instrument einer integrierten ländlichen Entwicklung.
Mit solchen "Telecenters" könnte eine Basisversorgung mit Telefon- und Faxdiensten, aber genauso
auch mit E-Mail- und Internet-Diensten erreicht werden. Technisch kann das sowohl über Kabel, über kleine
Satellitenempfänger oder auch über Mobilfunktechniken geschehen. Die herkömmliche Festnetztechnologie
ist dabei zweite Wahl: Würde man ganz Afrika auf den Weltdurchschnitt von 12,7 Festnetzanschlüssen pro
hundert Einwohner bringen wollen, müßten ca. 110 Mrd. US-Dollar investiert werden, schätzt die
norwegische Telekom-Firma Telenor. Mit Mobilfunk kommt man je nach geographischen Gegebenheiten mit einem Bruchteil
davon aus. In Bangladesch könnte etwa ein Drittel des Landes mit bloß 60 Basisstationen um 25 Millionen
US-Dollar versorgt werden.
Daß dies sogar ohne öffentliche Subventionen funktionieren kann, beweisen erfolgreiche Initiativen etwa
in Senegal, Peru und in Bangladesch. Ein Grund für den Erfolg ist die höhere Auslastung pro Anschluß.
Selbst in reichen Ländern wie Frankreich wird ein privater Telefonanschluß pro Tag im Schnitt nur 8
Minuten lang benutzt.
· In Peru gründete Cabinas Publicas, eine private Organisation, 1992 ein solches Zentrum - mit bloß
zwei Telefonanschlüssen. Innerhalb von fünf Jahren und ohne öffentliche Gelder konnte Cabinas Publicas
23 Informationszentren im ganzen Land errichten, die zusammen über 130 Festnetzanschlüsse, 200 Server
und 5.800 Terminals verfügen. 1996 betrug der Umsatz allein aus der Internet-Nutzung 3,1 Millionen US-Dollar.
· In Senegal erlebten private Telecenters in den letzten Jahren eine Blüte. Sie stellen bereits 6%
aller Hauptanschlüsse, die sich zudem weit besser rentieren als die des öffentlichen Telefonnetzes -
der Umsatz pro Anschluß ist viermal so hoch. Allein in drei Jahren entstanden außerdem mehr als 1.000
neue Arbeitsplätze.
· In Bangladesch, einem der ärmsten Länder der Welt, hat sich der gefeierte Gründer der Grameen-Bank,
Mohammad Yunus, mit "Grameen Phone" ins Telekommunikationsgeschäft vorgewagt. Zusammen mit der norwegischen
Telenor Invest wird hier ein GSM-Mobilfunknetz aufgebaut, das bis 2002 das ganze Land versorgen soll. Vorläufig
mit Erfolg: Das Netz wurde im März 1997 in Betrieb genommen. Mitte 1998 versorgte Grameen Phone lt. Telenor-Angaben
bereits 25.000 Teilnehmer, und per Ende 1998 soll es rund 500 sogenannte "Dorftelefone" geben. Die Idee
folgt der erfolgreichen Grameen-Bank-Philosophie: 60.000 Mitglieder der Bank sind berechtigt, ein Mobiltelefon
per Leasing zu erwerben, und die möglichen Dienste - Gespräche, Kurznachrichten, später auch Fax,
E-Mail etc. - auf kommerzieller Basis anzubieten.
Gut und schön, würden Skeptiker sagen - doch all dies scheint noch nicht in die glorreiche Zukunft des
Internet zu führen, die nach übereinstimmender Auffassung in Multimedia- und anderen Breitbanddiensten
besteht, die hohe Übertragungskapazitäten benötigen. Ein E-Mail Account ist nicht dasselbe wie eine
telemedizinische Anwendung, und praktisch alle Versprechungen des Internet im Bereich des interaktiven Lernens
etc. beruhen auf Breitband-Zugang. Auch eine Nutzung des Informationsangebots im Internet durch nicht-computerkundige
Menschen etwa über Benutzerkonsolen, die sich per Fingerdruck am Bildschirm bedienen lassen, erfordert hohe
Übertragungsraten.
Doch selbst hier könnte den Entwicklungsländern der Konkurrenzkampf um die reichen Kunden im Norden zugute
kommen. Denn für die sogenannte "Last Mile" vom Internet-Provider bis zu den Endgeräten der
Benutzer kommen verschiedene Übertragungswege in Frage. Dies sind die bereits vorhandenen Kupferleitungen
der Telefonnetze, alternative Kabelanschlüsse etwa von Kabelfernsehanbietern und schließlich drahtlose
Technologien - dabei kann es sich um lokale Anschlußnetze oder um Satellitenfunksysteme handeln. ADSL - "Assymetric
Digital Subsriber Line" - beispielsweise funktioniert über herkömmliche Telefonleitungen und wird
besonders in den USA bereits vermarktet. Möglich sind theoretisch bis zu 10,5 Mbps im Download und 1,5 Mbps
im Upload.
Wer schließlich die Nase vorn haben wird, weiß niemand. Investoren wie Microsoft-Chef Bill Gates setzen
zur Sicherheit auf zwei Pferde - auf Kabel und auf Satellit. Eine Milliarde US-Dollar steckte Gates in Comcast,
den viertgrößten Kabel-TV-Anbieter der USA; gleichzeitig beteiligte sich Mr. Microsoft - als Person
- am Projekt "Internet in the Sky" des Konsortiums Teledesic, in das u.a. Craig McCaw, Saudi Prince Alwaleed
Bin Talal, Motorola und Boeing investiert haben. Dieses Projekt wäre besonders für die ländlichen
Gebiete im Süden interessant: Teledesic will um ca. 9 Mrd. US-Dollar ein Netz von anfangs 288 LEO-Satelliten
("Low Earth Orbit", d.h. in Höhen etwa zwischen 700 und 1500 Kilometern) errichten und Übertragungsraten
bis 64 Megabit/Sekunde zum Benutzer bzw. 2 Mbps in der Gegenrichtung garantieren - im downlink etwa die 2000fache
Geschwindigkeit eines heutigen Modems. Dieses Satellitennetz würde, entsprechende Endgeräte vorausgesetzt,
auch den ärmsten Ländern der Welt einen Breitband-Zugang zum Internet bieten, ohne daß eine teure
terrestrische Infrastruktur installiert werden müßte. Die Tarife würden zwar von den Providern
festgesetzt, sollten aber nach Angaben des Konsortiums nicht höher liegen als für zukünftige kabelgebundene
Breitbanddienste - und die wären sicher niedriger als die heutigen.
Robert Poth ist freier Journalist
und Übersetzer in Wien und Mitarbeiter des entwicklungspolitischen Magazins "Südwind".
"zum Thema:" Nr. 24, 30.12.1998
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