Kurzfassung

- Die Länder der Dritten Welt wollen auf den Computer- und Internetzug aufspringen. Doch teure Web Accounts und eine hohe Analphabetismus-Rate lassen den Traum vom schnellen Anschluß an die westliche Wissensgesellschaft in weite Ferne rücken.

- Dennoch ist für AT&T oder Siemens der neue Markt interessant.

- Ebenso beginnen ausländische Entwicklungshelfer und Nicht-Regierungs- Organisationen die Web-Kommunikation für ihre Zwecke zu nutzen, da politische Organisation und Bildung durch das Netz erleichtert werden.

- Ob das Wissen, das die Netze transportieren, tatsächlich für die Länder der Dritten Welt von Nutzen ist, bleibt angesichts der dortigen Erkenntnis-Traditionen allerdings fraglich.


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Es werden mehr PCs als Fernsehgeräte verkauft




























Die Wissensökonomie führt keineswegs überall zu phantastischen Ergebnissen

























Batteriebetrieb allein würde keineswegs genügen


































Argentinien kontrolliert den Web-Zugang durch finanzielle Hürden





























Für die großen Companies geht es um gewaltige Summen











































Die eigentliche Web-Stärke ist Zeit- und Kostenersparnis











































Die Bildungsinstitutionen des Südens könnten von Datenbanken profitieren








































Nicht alles Wissen macht in Entwicklungsländern Sinn





































Erfahrungsgemäß bleibt die internationale Kommunikation hinter der technischen Globalisierung zurück





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Editorial,


von Harald A. Friedl


Die Zukunft liegt im Netz, genau dort nämlich, wo das Wissen seine virtuelle Heimat gefunden hat. Der Cyberspace, Ergebnis einer sich verwebenden Genesis, offenbart sich als leuchtendes Paradies, denn "Wissen ist wie Licht".

Zu derartigen lyrischen Erkenntnissen hingerissen waren die Autoren des diesjährigen Weltbank-Entwicklungsberichts "Knowledge for Development", worin endgültig manifestiert wird, was die Apologeten des binären Weltverständnisses immer schon gewußt hatten: Wissen sei das Gold des Dritten Jahrtausends. Und wo sonst könnte diese Offenbarung den gläubigen Pilgern und aufbruchswilligen Goldschürfern wesensgerechter anvertraut werden als im Word Wide Web selbst. Über die Homepage der Weltbank (siehe Linkpage) wird somit wieder einmal mehr verkündet, worauf es für den Entwicklungswilligen fürderhin ankommt, will er nicht völlig hoffnungslos im Sumpf von Armut und Unwissenheit verkommen: Modem und PC sind die Schlüssel zum neuen Paradies...

Selbstverständlich weiß auch die Weltbank um die vielen verschiedenen Arten von Wissen, doch seien letztlich nur zwei zentrale Wissensformen für das globale Dorf von echter Relevanz: technisches Know-how und Kenntnisse um Wertmaßstäbe wirtschaftlicher Güter im internationalen Verkehr. Der Mangel an genau diesem Wissen sei es allerdings, der für die schleppende wirtschaftliche Entwicklung so vieler Regionen der Welt verantwortlich sei. Kurz gesagt ist Armut lediglich das Resultat falscher Kenntnisse (nicht zu verwechseln mit dem "falschen Bewußtsein"!...). Diesem Mangel aber - und das ist die gute Nachricht - kann problemlos abgeholfen werden: per Internet!

Milch und Honig würden über diesen wunder-reichen Server-Verbund in den Süden fließen. Gerade jene bislang hoffnungslos nachhinkenden Regionen, in denen Elend und Desaster hausten, weil es selbst an grundlegender Infrastruktur wie Wasser und Straßen mangelte, könnten durch moderne, relativ billige Kommunikationstechnologie den "Leapfrog" schaffen - einen Bocksprung aus der Agrarwirtschaft über die industrielle Entwicklung hinweg direkt ins Informationszeitalter. Die neuen globalen Kontaktchancen zwischen entfernten Forschungszentren, Produzenten und Konsumenten würden die abgelegenen Märkte beleben, indem deren kompetitiven Vorteile wie Rohstoffe oder billigere Arbeitskräfte besser vermarktbar, zum Teil aber überhaupt erst zugänglich gemacht würden.

Internet aber ist mehr als nur ein Job-Beschaffer: Internet ist Alchimie - der Stein der Weisen. Zumindest für die UN Wirtschaftskommission für Afrika (ECA), die in ihrem Report vom April 1996 für eine Initiative einer afrikanischen Informationsgesellschaft eine regelrechte Weihnachts-Wunschliste an Erwartungen aufgestellt hatten. Demnach sollten mit Hilfe des Wunder-Webs am schwarzen Kontinent selbstverständlich neue Arbeitsplätze geschaffen, Kosten im Gesundheitswesen eingespart, die Ausbildung revolutioniert, der Anteil am Welthandel gesteigert, der Tourismus als weitere Einnahmequelle besser erschlossen, natürlich die Lebensmittelversorgung sicher gestellt, die Rolle der Frauen entscheidend verbessert und - in Anbetracht der zahlreichen Konflikte - ein Krisenmanagement-System geschaffen werden. Vergeblich sucht man auf dieser Einkaufsliste für technikbegeisterte Weltverbesserer dagegen nach Lösungsansätzen für die Problemfelder Armut, Wohnsituation, Korruption, Rechtsprechung und Kriminalität. Wurde wohl nur im Taumel der Begeisterung übersehen...

Tatsächlich herrschen sehr klare Vorstellungen, wie die "Rückständigkeit" der restlichen Welt auf Vordermann gebracht werden könne. "Bananenplantagen" und "Kupferminen", schmutzig-ödes Begriffskompendium frustrierter Entwicklungspropheten, weichen neuerdings klangvollen Zauberworten wie "Telework", "Teletrade" und "Outsourcing". Diese neue Terminologie ist Ausdruck eines neuen Lebensgefühls durch neue Lebensformen in einer neuen Lebenswelt: die Existenz des wohlhabenden, gebildeten und politisch mündigen Cyber-Bürgers in der globalisierten Cyberwelt jenseits der irdischen Wüsten. Der boomende "ECommerce", der Handel mit virtuellen Gütern, werde im Verein mit der Öffnung südlicher Märkte via Infohighway den Sterntaler-Regen westlichen Wohlstands auf die geographischen Randzonen niederprasseln lassen.

Was wie ein Märchen von Jules Vernes oder Aldous Huxley anmutet, scheint sich an einigen Kristallisationspunkten der Erde tatsächlich abzuzeichnen. Mehr als das: Der beschworene "Digitalrausch" ist bereits ausgebrochen - gerade in den Entwicklungsländern, aus denen 1998 Software im Wert von drei Milliarden Dollar in den Westen exportiert wird, wie Richard Heeks vom "Institute for Development Policy and Management" der University of Manchester vorrechnete. Als Paradebeispiel für den Realitätsgehalt dieser Vision wird gerne Bangalore, das legendäre "Silicon Valley Indiens", präsentiert, wo sich Firmen wie IBM und Motorola der indischen Dienste bedienen und wo drei Universitäten sowie 1.670 weitere Ausbildungsstätten jährlich 55.000 neue Ingenieure "produzieren".

Auch fernab jenes indischen Musterschülers greift die Botschaft von der dematerialisierten Infogesellschaft, stammen doch die meisten Neuzugänge der wuchernden Cyber-Gemeinde aus Entwicklungsländern: Alle afrikanischen Staaten - darunter die 35 der 49 ärmsten Länder der Erde - sind bereits angeschlossen. Die Menschen scheinen nach interaktiver Information zu hungern, denn weltweit werden bereits mehr PCs als TV-Geräte verkauft - mit den höchsten Wachstumsraten in der Dritten Welt. Aufbruchstimmung herrscht allerorts, selbst in den abgelegensten Winkeln der Erde. "Everything you know about Africa is wrong", staunte John Perry Barlow im US-Magazin "Wired" über seine erste - reale - Begegnung mit den digitalen Bemühungen des Schwarzen Kontinents. Die Hauptstraße von Ghanas City Accra wird gesäumt von einer Allee von Hardware-Werbung, das Business-Telefonbuch von Abidjan, Elfenbeinküste, zählt 15 Seiten, die sich auf Computer beziehen!

Klingt ganz danach, als wäre dank binärem Code, Halbleitertechnik und westlichem Unternehmertum das leidige Thema einer weltweiten Verteilungsungerechtigkeit doch noch zu lösen. Was die "Grüne Revolution" und der Neo-Liberalismus nicht geschafft haben, das Internet schafft sie alle! War vielleicht der US-Historiker Fukuyama lediglich zu voreilig, als er im Fall der Berliner Mauer das "Ende der Geschichte" zu erkennen glaubte? Vielleicht ist es vielmehr das "Global Village", in dem sich mit dem "Ende des Raums" (Paul Virilio) auch die traditionellen Kategorien von Arm und Reich auflösen könnten, weil im Cyberspace kein Platz mehr für substantielle Ungleichheit existiert. Im WWW sind alle Menschen gleich!

Alle, die drinnen sind. Hier entlarvt sich die Vision vom Cyber-Paradies als Utopie, denn um das globale Dorf ist eine hohe Mauer gezogen: jene der "Konnektivität"! Wer nicht über Modem, PC und einen Einwählknoten verfügt, bleibt ein "PONA", eine "Person Of No Account". Solchermaßen landlos im virtuellen Raum sind mehr als 98 Prozent der Menschheit: Nach Berechnungen der International Data Corporation stammen von den weltweit rund 100 Millionen Surfern lediglich 14 Millionen nicht aus den Wohlstandszentren USA und Westeuropa.

Wie groß ist also die aufstrebende Internet-Community, in der das Gold des Wissens sprudelt? Über einen direkten Web-Zugang verfügen selbst im (technologie-)reichen Österreich erst sieben Prozent der Haushalte. Abwarten!, winken da die optimistischen Verfechter der anbrechenden Wissensära ab, unerschüttert von der Tatsache, daß die genannten Einstiegstools in den Weiten Asiens und Afrikas - einstweilen noch! - absolute Mangelware sind. Das aber werde sich schon sehr bald ändern, logischerweise angefangen bei den (Finanz)Eliten aller Entwicklungsländer, denn man will ganz einfach dabeisein und mitlauschen können - am Puls der (westlichen) Zeit. Dann werde der Take-off schon kommen!

Wirft man einen zweiten Blick auf die "Electronics Capital of India", so demaskiert sich Bangalore als schaurig-schöner Paradefall einer neuen Stadtgeographie, wie sie die gar nicht virtuelle Informationsgesellschaft hervorzubringen scheint. Hier führte die Wissensökonomie keineswegs zu phantastischen Phänomenen wie Vollbeschäftigung oder ähnlichen Relikten der Sozialdemokratie. Vielmehr verlassen jährlich 30 Prozent der Beschäftigten der Softwareindustrie das Land, um ihre erworbenen Kenntnisse zu besseren finanziellen Bedingungen meist in den USA zu vermarkten. Dieser "brain drain" ist trotz aller entgegengesetzten Bemühungen nicht aufzuhalten. Für die dumpf schweigende Mehrheit des Fünf-Millionen-Molochs, die auf dem Software-Sprungbrett keinen Platz findet, haben sich die Lebensbedingungen gravierend verschlechtert, seit die Computerindustrie den Ton angibt. Die Grundstückspreise sind um ein Fünffaches gestiegen, die Luftverschmutzung erreicht Rekordwerte, und Wasser- und Stromabschaltungen sind an der Tagesordnung.

Kleine Wohlstandsinseln im Ozean der Armut sind die High-Tech-Produktionsstätten. So klaffen die Einkommensniveaus zwischen Software-Fachleuten und Bauarbeitern so massiv auseinander wie die in den Himmel greifenden Glaspaläste des Zentrums vis-à-vis der bodennahen Papphütten der Peripherie. Dicht neben- und übereinander existieren zwei fremde Welten: hier die hochdotierten, futuristischen Cyber-Profis, abseits die traditionelle Armut. Diese bizarre Form einer "bi-kulturellen" Koexistenz macht Bangalore zu einer spannenden Stadt - einer Stadt voller Spannungen.

"Ist Indien nicht die perfekte Vorwegnahme dessen, was bald das eigentliche Angesicht der Erde sein wird?", fragt treffend Danièle Sallenave in ihrem Buch "Indien oder die Verwüstung der Welt" und prophezeit: "Da liegt unsere Zukunft, in dieser tödlichen Nachbarschaft von extremer Technisierung und extremem Überleben der Vergangenheit, von extremem Reichtum und extremer Armut."
Damit wird das Argument der Egalisierungspotentiale der neuen Technologie als naive Hoffnung demaskiert. Insbesondere hält das Versprechen, mit dem Netzverbund neue Arbeitsplätze schaffen zu können, der Realität nicht stand: So will der amerikanische Telefonriese AT&T in den nächsten Jahren 15000 Mitarbeiter entlassen. Und auch die peruanische Telefónica Peruana hat nach ihrer Übernahme durch die spanische Telecom in drei Jahren 7000 Jobs vernichtet. Der Arbeitsplatzboom, den die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes und die damit weltweit verbundene Privatisierung von Telefongesellschaften hätte auslösen sollen, ist ausgeblieben. Was hat sich demnach durch das digitale Heil verändert?

Wenig - aus der Sicht des Web-Literaten und Professors für Kunstgeschichte, Olu Oguibe: "Die Grenzen, die durch die Kartographie des Cyberspace gezogen werden, sind die alten Grenzen von Klasse und Wohlstand. Sie umfassen die verarmten Gegenden der USA ebenso wie den Tschad. Die digitale Dritte Welt ist ein globales Territorium, das die gegenwärtige Erste und Dritte-Welt-Kategorien durchbricht." Und jene Grenzen sind der neue Eiserne Vorhang der Wissensgesellschaft.

Geradezu peinlich mutet trotz allem Web-Optimismus die Frage an, durch welches Wunder die "Kids" der Elendsviertel von Lima, der afrikanischen Dörfer oder der New Yorker Vororte in den Cyberspace gelangen sollen? Denn die Eintrittsbarrieren für jene Cyber-Anwärter sind - gemessen an ihren gegebenen Möglichkeiten - von gigantischem Ausmaß. Die Probleme beginnen hier nicht erst bei der existentiellen Entscheidung zwischen Apple oder IBM: Allein mit elektrischem Strom sind lediglich 20 Prozent der Menschheit versorgt.

Batteriebetrieb allein würde keineswegs genügen, um der Menschheit den Pfad ins Netz zu ebnen - aus dem simplen Grund, daß jenes "weltweite Web" riesige Löcher aufzuweisen hat. In 49 Ländern der Erde gibt es weniger als einen Telefonanschluß pro 100 Einwohner. In Afrika kommt auf jeden Bürger ein Telefongespräch von weniger als einer Minute Dauer pro Jahr. Die paar vorhandenen Anschlüsse wiederum konzentrieren sich in urbanen Ballungsräumen. So kommen im ländlichen Afrika 1700 Menschen auf ein Telefon, und in Indien gibt es 535.000 Dörfer ohne Anschluß.

Kein Problem, vielmehr einen phantastischer Vorteil sieht Bill Gates, der reichste Mann der Welt, in diesem Umstand. So würden sich viele Entwicklungsländer den Umweg über teuere Kupferleitungen zum netzlosen Funkbetrieb ersparen. Dieser "Vorteil" gilt wohl auch für den Microsoft-Boss selbst, der gemeinsam mit dem US-Mobilfunk-Unternehmen McCraw das Satelliten-getragene Kommunikationsnetz "Teledesic" aufbauen will.

Angenommen, ein anschlußwilliger Web-Kandidat hätte Zugang zum städtischen Strom- und Telefonnetz, dann wäre noch das kleine Hindernis der Beschaffung von Modem und PC zu bewältigen. Die lächerlichen zweitausend Dollar allerdings sind für einen Afrikaner - bei einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von 970 Dollar im Jahr - absolut unerschwinglich. 1,3 Mrd. Menschen verdienen laut UNDP Human Development Report weniger als einen Dollar pro Tag. Das Doppelte zahlt ein Afrikaner an Internet-Gebühr, ohne noch eine einzige Minute gesurft zu sein. Und billig ist Telefonieren nur nach 20 Uhr - in Österreich.
Der bemühte Vergleich der Zugangsbarrieren mit der Berliner Mauer ist somit alles andere als konstruiert. Denn was "normale" Mängel noch nicht schaffen, um das Schlupfloch ins Web nur ja schön eng zu halten, wird durch zusätzliche staatliche Hürden erzielt. Nicht wenigen scheindemokratischen bis autoritären Staaten ist die vernetzte Kommunikation ein Dorn im Auge. Denn der freie Kommunikationsfluß wird dort weniger als Entwicklungsbedingung im Sinne Karl Poppers offener Gesellschaft verstanden als vielmehr als subversive Herrschaftsbedrohung.

Argentinien kontrolliert den Web-Zugang durch finanzielle Hürden, indem für einen Provider-Anschluß an das Hochleistungsnetz mit 180.000 $ jährlich fünfzig Mal mehr zu bezahlen ist als in den USA. Ein Inder berappt den vierfachen US-Preis für ein Modem, und Afrikas Web-Accounts sind gut fünfmal so teuer wie in Europa. Unter dem Vorwand, die nationalen User vor Pornographie, Kriminalität und Desinformation zu schützen, beauftragte die Regierung Jordaniens die US-Firma GlobeNet mit der Installierung eines Mail- und IP-Adressen-Filtersystems. China verlangt die polizeiliche Registrierung jedes Surfers, um "den Eintritt pornographischen Materials sowie anderer schädlicher Informationen nach China zu verhindern", wie die Nachrichtenagentur XINHUA berichtete. Singapur, der weltgrößte Harddisk-Produzent und nach Japan Asiens wichtigster PC-Exporteur, gedenkt einen elektronischen Sicherheitsgürtel zu errichten, um die traditionellen Werte generell und die Kinder insbesondere vor virtuellem Schweinekram zu schützen. Seit Mitte 1996 überwacht die nationale Rundfunkbehörde "Singapore Broadcasting Authority" die Inhalte im Internet des Landes.

Doch auch die Erfinder der Menschenrechte und Grundfreiheiten stehen solchen Zensurbestrebungen um nichts nach. Der CIA und andere US-Behörden etwa lassen E-Mails überwachen. Mit ihrem im englischen Menwith Hall installierten Echelon System fängt die US National Security Agency europaweit die elektronische Post ab, um sie nach Schlüsselwörtern zu analysieren. Und Deutschlands Ex-Regierung hatte konkrete Pläne, dem Geheimdienst die generelle Netzüberwachung zu genehmigen. Technisch wäre dies kein Problem, denn jeder Surfer hinterläßt eine dichte Datenspur.

Banale Probleme für gut eine Milliarde Erdenbürger. Die Barrieren, die dem Genuß des leuchtenden Web-Wissens im Wege stehen, seien sie nun finanzieller, infrastruktureller oder politischer Natur, spielen für diesen Teil der Menschheit kein Rolle, weil sie niemals lesen gelernt haben. Und 90 Prozent der weltweiten Kinderschar mangelt es weniger an qualitätvollen Web-Dokumenten als überhaupt an einer soliden Mittelschulbildung. Naturgemäß finden sich die gravierendsten Analphabetisierungsraten in besonders benachteiligten Regionen. In Mali sind kaum 19 Prozent der Bevölkerung über sechs Jahren des Lesens mächtig. Doch steht genau diese "Naturmäßigkeit" im Widerspruch zu jenem absolut notwendigen Minimum an kultureller Kompatibilität, um das gepriesene Entwicklungspotential des "Wissensspeichers Internet" überhaupt wahrnehmen und nutzen zu können.

Den ärmsten Ländern der Welt stehen allerdings die Industrienationen um nichts nach. Brasilien beherbergt 20 Millionen Illiteraten, und sogar in den USA wissen gut 90 Millionen Bürger - 47 Prozent der Erwachsenen - mit Geschriebenem nichts anzufangen. Ein Drittel dieser Menschen vermag nicht einmal Straßenschilder zu entziffern.

Ohne auf derartige Belanglosigkeiten einzugehen, schwärmen fast alle Studien und Papiere zur Telekommunikation für das Internet, sei es doch entscheidend für die Entwicklung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts auf der Welt. Weltbank, UNESCO, USAID und zahllose andere internationale Institutionen werden nicht müde, die Entscheidungsträger der Dritten Welt von der unumgänglichen Notwendigkeit der Investition ins Netz zu überzeugen. Wie gesagt: Mit dem Web kommt das Wissen, und Wissen ist Licht...

Von dieser Vision erleuchten ließen sich offenbar zahlreiche Entscheidungsträger, denn rund um dem Erdball tut sich mittlerweile Gewaltiges, um die Lücken im Netz zu flicken. China macht 40 Mrd. Dollar locker, um 100 Millionen digitale Anschlüsse zu installieren. Mexiko und Brasilien arbeiten bereits fleißig am massiven Ausbau ihrer Netze. Und um Afrika besser mit dem Rest der Welt zu verbinden, hat der amerikanische Telefonriese AT&T das Projekt "Africa ONE" ins Leben gerufen. Ganz Afrika soll mit einem Unterwasser-Fiberglaskabel umgeben werden, um dann über die großen Küstenstädte den Kontinent schrittweise für die Telekommunikation zu "erobern". Kostenpunkt: 2,6 Milliarden Dollar. Die lauteste Kritik an diesem "Technologie-Kolonialismus" stammt ausgerechnet von der deutschen Firma Siemens, die mit ihrem alternativen Projekt "Afrilink" zur Konkurrenz von AT&T zählt.

Immerhin geht es um gewaltige Summen. Für einen Telefonanschluß in städtischen Bereichen der Dritten Welt fallen zwischen 500 und 1500 Dollar an Kosten an. Allein um das südliche Afrika auf das angestrebte Ziel von einer Telefonleitung pro 100 Einwohner zu bringen, wären 28 Milliarden Dollar erforderlich. In Anbetracht der finanziellen Dimensionen - 200 Milliarden Dollar sollen in den nächsten fünf Jahren in Entwicklungsländern investiert werden - wandelt sich das Bild von der Goldmine "Internet". Penetrant riecht das Eigeninteresse jener internationalen Konsortien, die sich für die technische Umsetzung des "Anschlusses an die Zukunft" freundlicherweise anbieten. Der Haken dabei ist nur, daß die potentiellen Auftraggeber des Südens schon heute mit mehr als zwei Billionen Dollar in der Kreide stehen.

Für wen lohnt sich dieser horrende finanzielle Einsatz wirklich - außer für AT&T und die urbanen Eliten? Das ländliche Afrika, das kann man an einer Hand ausrechnen, wird wohl kaum seine Anschlußstelle zur Datenautobahn bekommen, weil die dortige Bevölkerung über zu wenig Kaufkraft verfügt, um als emsige Web-Surfer ernsthaft in Frage zu kommen. In Brasilien erfüllt vielleicht ein Viertel der Bevölkerung dieses Kriterium. Das bedeutet einen nicht zu vernachlässigenden neuen Markt von mindestens fünfzig Millionen Menschen. Diese "funktionierenden" Gesellschaftsschichten würden allein schon jede Investition rechtfertigen.

Die anderen, das heißt der überwiegende Teil der Weltbevölkerung, sind Ladenhüter.
Selbst in den Vereinigten Staaten, die auf dem Gebiet der Neuen Medien das höchstentwickelte Land sind, ist das Profil des Net-Users fest umrissen: männlich, weiß, gehobenes Einkommen. An der Befürchtung der Web-Skeptiker, die Deregulierung des Datenverkehrs drohe die sozialen Spaltungen zu verschärfen, dürfte somit mehr dran sein als bloße Sozial-Paranoia.

Daß jene mit Zugangsmöglichkeiten zu den neuen Technologien ihre Machtposition ausbauen können, während die Ausgeschlossenen zusätzlich marginalisiert werden - politisch wie ökonomisch - beschreibt Deepak Bharti von der indischen "People's Power Organisation" am Beispiel des weltweiten, Satelliten-getragenen Handy-Netzes "Iridium": "We are fighting against the rich landlords who have grabbed thousands of acres of land, as well as against the criminal gangs which have mushroomed in this locality. They are the users of cellular phones today, and will use satellite phones tomorrow. We will not. It is they who will be able to afford them and not us. And they will be used against us, to undermine us."

Was wiederum nicht heißen soll, das Web sei die Pest für den Süden. Im Gegenteil: Gezielt eingesetzt ist es ein wahrer Segen für den entwicklungspolitischen Sektor. So haben vor allem Nichtregierungs-Organisationen (NROs) schon lange vor dem großen Boom den strategischen Wert dieser neuen Kommunikationsstruktur erkannt. Die User der frühen Jahre bis 1995 waren überwiegend wissenschaftliche Organisationen, die unter dem Verband der Association of Progressive Communications (APC) alternative Netzwerke wie GreenNet aufgebaut hatten. Mittlerweile zählen über 25 solcher internationalen Netzwerke zu den APC-Mitgliedern, die Links zu über 50.000 NROs, Aktivisten und anderen politischen Schlüsselstellen in 133 Ländern der Welt anbieten - Tendenz steigend.

Die eigentliche Web-Stärke liegt für jene Anwender in der Zeit- und Kostenersparnis. Braucht ein Brief von Äthiopien nach Bolivien mehrere Wochen, so langt eine E-Mail binnen Sekunden ein und kostet wenige Groschen. Dagegen verschlingt die Übermittlung eines Forschungsberichts per Fax den Monatssalär eines Forschers. Zum Kostenvorteil kommt zudem der Integrationseffekt: Das Web befreit abgelegene Forscher aus ihrer Isolation, einem der Hauptgründe für den "Brain drain" der Entwicklungsländer. Wer per Web in die Nationalbibliothek kommt, kann dies auch gleich von Belutschistan aus tun.

Besonders für ausländische Entwicklungshelfer bietet der E-Mail-Service einen besseren und effizienteren Kontakt zu den Geberländern und zusätzlich einen Zugriff auf Quellen im Heimatland. Seit die Daten der UNO, der Weltbank und von US-AID zur freien Verfügung im Cyberspace stehen, können sich die potentiellen Empfängerländer über bestehende Entwicklungsprojekte internationaler Organisationen direkt im Netz informieren oder neue Projekte beantragen.

Seinen Popularitätsdurchbruch erlebte das Internet jedoch als Informationsalternative zu den nationalen Medien, als 1989 per E-Mail über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking berichtet wurde. 1991 konnten die einseitigen Informationen der Amerikaner zum Golfkrieg unterlaufen werden, und als die Autorin Taslima Nasreen ihrer feministischen Schriften wegen von Fundamentalisten in Bangladesch zum Tode verurteilt wurde, initiierte das lokale Netzwerk DrikTAP per E-Mail eine weltweite Kampagne. Erst unter dem aufgebauten internationalen Druck durfte die Autorin ins Exil ausreisen.

Das legendärste Beispiel für erfolgreiche, subversive Web-Kommunikation stammt aus Mexiko: Während des Aufstandes der Zapatisten in Chiapas kommunizierte hier Subcomandante Marcos per Internet und Satellit mit dem Rest der Welt. Das Problem wurde damit weltweit bekanntgemacht, allerdings endete an diesem Punkt auch die Wirkungskraft des Webs. Denn an der grundlegenden Situation der Zapatisten, den permanenten Menschenrechtsverletzungen durch die mexikanischen Behörden und durch die paramilitärischen Banden der Großgrundbesitzer ausgeliefert zu sein, änderte sich nichts.

Daß man nicht gleich nach den Sternen greifen darf, ist den NROs zweifellos klar. Doch setzte sich gleichermaßen auch die Überzeugung durch, daß die Vernetzung zur politischen Notwendigkeit wird, will man in einer Welt der Medienflut - und gegenüber den politischen Gegnern - nicht völlig untergehen. So versucht etwa die US-Organisation NativeNet, verstreute indigene Gruppen untereinander als auch mit Aktivisten und sonstigen Interessenten zu integrieren, um die für ethnische Minderheiten typischen politischen wie wirtschaftlichen Probleme besser zu diskutieren und auch umzusetzen. (Lesen Sie dazu bitte die Interviews mit Shane Caraveo und Marc Becker). Durch die Integration von Bürgerinitiativen und anderen Grassroots-Bewegungen könnten NROs jene Rolle übernehmen, die sich der Staat aus "Privatisierungsgründen" zunehmend von den Global Players entreißen läßt. Überhaupt ist das Netz der Nährboden schlechthin für eine sich selbst generierende Entfaltung politischer Basisbewegungen: "autopoietischer Kommunitarismus" in Reinkultur.

Integration aber verschafft auch die nötige Legitimationsbasis, an der es weltweit agierenden Kräften zumeist fehlt. Durch die Vernetzung mit der Basis können sich Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International gleichsam zu Knotenpunkten einer internationalen Zivilgesellschaft entwickeln, der die Rolle eines notwendigen Korrektivs gegenüber den Großkonzernen der globalisierten Weltwirtschaft zukommt. 1998 hatten NROs erfolgreich gegen die geheimen MAI-Verhandlungen mobilisiert. Wenn auch Visionen wie Abstimmungen per Internet eher dem Reich der politischen Faschingsscherze zuzuordnen sind, so ist die grundlegende Bedeutung der Kommunikation mit dem Bürger als politische Bedingung jeglicher Legitimität unbestreitbar.

Anhand der angeschnittenen Problembereiche zeigt sich, daß das Internet nicht nur selbst ein hochkomplexes und dynamisches Phänomen ist, sondern daß auch seine Nutzungs- und Wirkungsaspekte entsprechend differenziert betrachtet werden müssen. Auf derartige Diskussionen aber lassen sich die wenigsten der weltweit wuchernden Programme ein, die auf den raschen Anschluß an das Internet abzielen. So bietet das InfoDev Programm der Weltbank eine Fülle von diversen Struktur- und Wirtschaftsprojekten zur Webverbreitung an, das Open Society Institute des "Währungsspekulaten und Philanthropen" George Soros fördert mit zig Millionen Dollar in Osteuropa und Afrika die Modernisierung der Kommunikationsnetze wie auch die Förderung der politischen Kommunikationskultur überhaupt. Und das deutsche Projekt "Schulen ans Netz" will Unterrichsgebäude in abgelegenen afrikanischen Dörfern mit Solaranlagen und Webanschlüssen versorgen... Allein in Afrika existieren über fünfzig derartige internationale Initiativen.

Apropos Bildung: Bildungs- und Forschungsinstitutionen des Südens, die sich infolge der rigiden Sparprogramme kaum mehr Bücher leisten konnten, hoffen natürlich, mit Hilfe des elektronischen Zugangs zu aktueller wissenschaftlicher Literatur zu westlichem Niveau aufsteigen zu können. Diesen Traum könnte das 1,2 Millionen-Dollar-Projekt "African Virtual University" im Rahmen des InfoDev-Programms der Weltbank verwirklichen.

Womit sich der Kreis des Wissens schließt: Weil also Wissen das Kapital des 21. Jahrhunderts sei und die Verfügbarkeit von Wissen die Voraussetzung für das ökonomische Überleben, wie die Weltbank in ihrem Jahresbericht verkündete, beließ es diese Institution keineswegs nur bei frommen Sprüchen. Die Bank erklärte sich gleich selbst zur "Knowledge bank", die neben Krediten nunmehr auch Wissen zu vergeben gedenkt. "Die Gesellschaft zur Diffusion nützlichen Wissens", wie das renommierte PANOS-Institut ätzend kommentierte.
Die gute Nachricht: Jene Wissensschätze sollen kostenlos mit allen Menschen geteilt werden. Dazu baute die Bank ein "Wissens-Infrastruktur"-Netzwerk auf, in dem jede Menge praktische Fallstudien, Analysen und Projektanleitungen zu finden sind. Sucht man nach Tips für den Aufbau einer Kleinkredit-Gemeinschaft für Reisbauern in Vietnam: Klicken Sie hier! Vorbei die frustrierenden Faxe und Anrufe an die lokalen NROs. Ab heute gibt es für jedes Problem die geeignete Lösung bei der Weltbank - per Mausklick.

Als ob dergleichen möglich wäre! Wissen ist schließlich mehr als bloß die Gebrauchsanleitung für eine Streichholzschachtel - spätestens dann, wenn man sich an einer Tankstelle befindet. Dieser Stil, mit dem die Weltbank, völlig abgehoben von konkreten Rahmenbedingungen, tatsächlichen Bedürfnissen und spezifischen Potentialen, ihre Weisheiten zu verbreiten sucht, erweckt eher den Eindruck arroganter Ignoranz gegenüber den wirklichen Problemen der "Hilfsbedürftigen" als den Anschein förderungswilliger Anteilnahme. Wenn auch die Informations-, Kommunikations- und Wissenskluft zwischen den Nord- und Südregionen problematisch ist, so bleibt doch die viel wichtigere Fähigkeit der Menschen, verfügbares Wissen zu verstehen, zu interpretieren und an die jeweilige Situation anzupassen. Ökonomische, politische wie kulturelle Rahmenbedingungen spielen dabei eine grundlegende Rolle - und waren in der Geschichte der Entwicklungspolitik die eigentlichen Gründe für das Scheitern oder Gelingen eines Projekts. Doch über derlei wesentliche Aspekte des Kapitals "Wissen" verliert die Weltbank kein Wort..

Wissen ist mehr als bloße Information. Wissen entsteht überhaupt erst durch den Akt des Verstehens, existiert, bildlich gesprochen, überhaupt nur im menschlichen Kopf und ist somit immer einzigartig. Ein hochkomplexes Dokument wird unweigerlich zum Zeichenhaufen auf weißem Hintergrund, wenn dem Wissensdurstigen der nötige Hintergrund fehlt, nämlich die Sprache, die Lesekenntnis, ökonomische Planungskenntnisse, Abstraktionsfähigkeit. Dieses Problem zeigte sich bereits am Beispiel Osteuropas nach dem Fall der Mauer, als sich weder Demokratie noch Marktwirtschaft von selbst einstellte, weil es am entsprechenden kulturellen Hintergrund mangelte: den "geheilten" Kommunisten an westlichem Wirtschaftsdenken und den westlichen Beratern an kommunistischen Denk-, Organisations- und Arbeitsweisen.

Die vielfältige Formen des kulturellen Wissens, wie indigenes Wissen, lokales Sprachwissen oder (höchst)persönliche Erfahrungen, fallen aus dem technokratisch-akademischen Wissensbegriff der Weltbank überhaupt heraus. Doch genau darin liegt das Paradox der "Knowlegde bank": Sie ist unerreichbar für die eigentlichen Adressaten, technisch wie inhaltlich, und verschlossen für jenes Wissen, das den eindimensionalen Kriterien der Weltbank widerspricht. Was eine "Wissensgesellschaft" dagegen so dringend benötigt, ist "eine Vielfalt an Wissensmaklern, ein Babel von Banken" (PANOS).

Dieses Paradox ist zudem sogar ein zweifaches: Fußte doch Friedrich August v. Hayeks zentrales Argument gegen die kommunistische Planwirtschaft auf der Rolle der Kommunikationsstruktur und -kultur. Weil nämlich kein Planungsbüro auch nur annähernd Kenntnis davon haben könne, was alles an umlaufendem Wissen der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft den Wirtschaftsprozeß trägt, sei die Planbarkeit gesellschaftlicher Prozesse ein absurdes Unterfangen. (siehe "zum Thema: Wissensmanagement). Und da verfällt ausgerechnet das Flaggschiff des Weltkapitalismus, die Weltbank, den überkommenen Marxistischen Erkenntnisansprüchen?

So sind beispielsweise Nomadenkulturen hochkomplexe Regelwerke, die ihre jeweiligen Umwelt- Produktions- und Sozialbedingungen in einem "ökologischen Wissenssystem" integriert haben, das hochgradig erfolgreich ist. Erst durch grundlegende systemfremde Einflüsse wie durch gezielte Modernisierungsversuche beginnen diese Systeme zu kippen. Viele Modernisierungsverfechter ignorieren nicht nur diese Zusammenhänge, sondern klassifizieren derartige Wissenssysteme als "rückständig" - und somit als "entwicklungsbedürftig". Besonders der Nomadismus ist weltweit den Regierungen ein Dorn im Auge, weil sie mit dem nationalen Selbstverständnis der Fortschrittlichkeit im Widerspruch stehen (siehe dazu "Fulbe-Jagd" in "zum Thema: Am Ende der Dritten Welt? "). Dieser Eingriff in gewachsene ökonomische Strukturen, dem kein Angebot an echten Alternativen folgt, endet für viele Nomadenangehörige in elenden Flüchtlingslagern oder Großstadt-Slums.

Wer glaubt, es handle sich bei derartigen Fragen um marginale, wenn auch tragische Phänomene, übersieht dabei, daß die heutigen Katalysatoren der Modernisierungsprozesse die multinationalen Konzerne sind, welche durch ihre Entscheidungen über die zukünftige Struktur des Weltgeschehens entscheiden. Ausdruck dieser "Monopolkultur" sind das Kartellverfahren gegen Microsoft wie auch die angepeilte Fusion zwischen British Telecom and AT&T, den beiden weltgrößten Telefongesellschaften. In Anbetracht des Umstandes, daß für den Großteil der Menschen nicht das Internet, sondern Radio und Fernsehen die wichtigsten Informationsquellen sind, darf einmal mehr die Aufmerksamkeit auf die internationale Medienkonzentration unter Murdoch, Springer und Co. gerichtet werden. Ähnliches spielt sich im Werbungssektor ab.
Immer mehr Information wird damit von immer weniger Medienunternehmen kontrolliert, weshalb der Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen ist, daß jene gefürchtete "MacDonaldisierung" des Globalen Dorfes auch von den Globalen Spielern zu verantworten sei. Gerade in diesem Zusammenhang könnte das Internet mit seiner horizontalen, non-hierarchischen Kommunikationsstruktur eine Alternative darstellen.
Eine begrenzte Alternative, zweifellos, weil Technologie unmittelbar praktizierte, orale Kommunikationskultur bestenfalls substituieren, niemals aber ersetzen kann. Auch herrscht bislang eine klare Dominanz westlicher Kommunikationsformen vor: Gegenwärtig sind 90 Prozent aller Informationen im Internet auf Englisch, nur fünf Prozent auf Französisch und zwei Prozent auf Spanisch. Ein Wertetransport vom Norden in den Süden ist damit kaum zu leugnen, weshalb Kritiker von einer zweiten Eroberung der Dritten Welt durch das Internet sprechen.

Andererseits bleibt gerade internationale Kommunikation erfahrungsgemäß hinter der technischen Globalisierung zurück und verstärkt zum Teil sogar den kulturellen Partikularismus. Das zeigte sich etwa am Beispiel von Murdochs erfolgreichem STAR TV, das in Asien mit einem Konglomerat von regionalen Kanälen spezielle kulturelle Bedürfnisse befriedigt. Die Weiterentwicklung von Programmiersprachen für das Internet wiederum führte mittlerweile dazu, daß im Cyberspace heute sämtliche Weltsprachen "gesprochen" werden. Web-Magazine erscheinen auf Japanisch, Hebräisch, Arabisch und sogar auf Farsi. Der nötige Browser, um Chinesische Schriftzeichen lesen zu können, ist bei "Yahoo! Chinese" herunterzuladen.
Die Erfahrungen in der Geschichte der Entwicklungshilfe zeigten, daß Technologie allein bestenfalls die (finanziellen) Probleme von Zulieferern löst, solange ihr Einsatz von oben aufgezwungen wird. Wer auf welche Weise und für welchen Preis aus welcher Technologie Nutzen ziehen durfte, war immer durch Machtstrukturen bestimmt. Darum kann die Frage nach dem "Wissensparadies Internet" niemals ausschließlich im ökonomischen Kontext gestellt werden, wie es etwa die Weltbank tut. Vielmehr wirft Sein und Sinn des Internets elementare kulturelle und politische Fragen auf, die diskutiert werden müssen.

Was "zum Thema:" hiermit tut.


Harald A. Friedl ist leitender Mitarbeiter von "zum Thema:".


"zum Thema:" Nr. 24, 30.12.1998